Pronova BKK: Die 18- bis 29-Jährigen klagen deutlich häufiger über Stress. Ist die Generation Z weniger resilient als Generationen vorher?
Thamm: Nein, das würde ich nicht verallgemeinern. Allerdings wächst diese Generation in volatilen Zeiten, sozusagen im Dauerkrisenmodus, auf. Allen voran die Corona-Pandemie hat uns alle, aber auch diese junge Generation gelehrt, dass sich Lebensbedingungen schlagartig ändern können und es keine Garantie für dauerhafte Sicherheit und Stabilität gibt. Wenn nicht auf eine sorgenfreie Zukunft gebaut werden kann, lebt die junge Generation deshalb viel bewusster im Hier und Jetzt.
Pronova BKK: Das heißt?
Thamm: Bei der jüngeren Generation ist ein Umdenken erkennbar. Sie fordert mehr Raum für ihre Gesundheit ein als ältere Generationen, achtet stärker auf ihre mentale Balance und hegt direkt zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn Erwartungen wie eine gute Work-Life-Balance, Flexibilität und Gestaltungsspielraum sowie ein gutes Gehalt.
Pronova BKK: Es scheint noch viel Unverständnis für die jeweils andere Generation zu geben: 54 % der Befragten verdächtigen die 18- bis 29-Jährigen, sich krankzumelden, obwohl sie arbeitsfähig wären. Worauf führen Sie dieses Misstrauen zurück?
Thamm: Es ist erkennbar, dass sich die junge Generation durch ein sensibleres Frühwarnsystem für die eigenen Bedürfnisse auszeichnet, was aus meiner Sicht sehr wertvoll ist. Sie schreibt also ihrer Selbstfürsorge und eigenen Gesundheit eine hohe Priorität zu und zieht nicht um jeden Preis das Arbeitspensum durch, wenn sie gesundheitlich angeschlagen ist. Natürlich kann es auch vorkommen, dass diese Entscheidung nach eigenem Ermessen manchmal ausgenutzt wird. Aber vor allem bei psychischen Problemen, die für das externe Umfeld oft nicht sichtbar sind, ist diese gelebte Selbstfürsorge sehr wichtig. Dies wird von den jüngeren und älteren Generationen aber noch sehr unterschiedlich betrachtet.
Pronova BKK: Inwiefern?
Thamm: Dort prallen Welten aufeinander. Die Generation Z reagiert achtsamer und reflektierter auf Arbeitsbedingungen, die nicht mit der Erhaltung ihrer Gesundheit vereinbar sind. Das ist auch richtig, damit die Gefahr für Phänomene wie eine innere Kündigung oder auch psychische Probleme – die unsere Studie zeigen – minimiert wird. Wer gut erholt und zufrieden seinen Job macht unter Arbeitsbedingungen, die ihr/ihm zusagen, wird auch entsprechende Leistung erbringen. Sich langfristig um jeden Preis und ungeachtet von jeglichem gesundheitlichen Risiko durchzubeißen, halte ich für eine gefährliche Haltung.
Pronova BKK: Warum?
Thamm: Es geht darum, Grenzen zu erkennen und zu setzen. Das gelingt der heutigen Generation besser. Tendenziell haben die Älteren früher mehr hingenommen, als es die Jüngeren heute bereit sind, zu tun. Es war üblicher, ungesunde Arbeitsbedingungen zu ertragen als auch Entscheidungen und Prozesse weniger infrage zu stellen. Ein Burn-out war sicherlich nicht erstrebenswert, gehörte im Notfall aber dazu. Es ist eine wichtige Führungsaufgabe, ein gegenseitiges Verständnis zwischen den Generationen herzustellen.
Pronova BKK: Wie meinen Sie das?
Thamm: Von der Generation Z wird gerade oft ein sehr negatives Bild gezeichnet – ihnen wird vorgeworfen, sie seien fragil, wenig belastbar und arbeitsscheu. Würden diese Attribute auf die rund 12 Millionen Menschen zutreffen, die der Generation Z zugeordnet werden, hätten wir tatsächlich ein Problem. Dem ist aber nicht so, auch wenn immer wieder Beispielfälle in den Medien auftauchen, die dieses negative Bild bekräftigen. Die Gen Z will arbeiten, will sich engagieren, aber sie fordert für ihren Einsatz eben andere Bedingungen ein. Selbstverständlich müssen das Ermöglichen dieser Wünsche und die Bedingungen in einem Rahmen stattfinden, der einem kollegialen, unterstützenden Miteinander im Team und dem Unternehmenserfolg nicht konträr gegenüberstehen.
Pronova BKK: Mit Blick auf alle Befragten kennt fast die Hälfte Mitarbeitende, die bereits in eine innere Kündigung verfallen sind, Job nach Vorschrift machen oder sich aus Wut wegbewerben. Woran liegt das?
Thamm: Ja, das sind bedenkliche Werte, die eine hohe Unzufriedenheit der Beschäftigten widerspiegeln. Die Gründe für einen solchen Rückzug in die Mindestroutine oder einen Jobwechsel können sehr unterschiedlich sein wie fehlende Perspektiven zur Weiterentwicklung, Konflikte, Führungsfehler oder fehlende Wertschätzung. Mit den neuen hybriden Arbeitsmodellen ist es einfacher als früher geworden, sich ins Homeoffice zurückzuziehen und in der Komfortzone unentdeckt zu bleiben. Sicher ist der regelmäßige Kontakt der Führungskraft mit dem Team essenziell, um hier entgegenzuwirken. Auch konstante Mitarbeiterbefragungen mit entsprechenden Maßnahmen können eine hohe Arbeitsunzufriedenheit aufdecken, um rechtzeitig reagieren zu können.
Pronova BKK: Jüngere Beschäftigte wechseln überdurchschnittlich häufig den Job. Die Kündigung geht dabei häufiger von ihnen aus. Ist das konsequent oder bedeutet es nicht auch wieder Stress?
Thamm: Einerseits ist es konsequent, den Job zu wechseln, wenn Beschäftigte feststellen, sie können sich im aktuellen Unternehmen nicht weiterentwickeln, erhalten nicht die gewünschte Wertschätzung, sind mit den Arbeitsbedingungen oder auch dem Teamklima nicht mehr zufrieden. Dann ist es sicher richtig, woanders neu anzufangen. Andererseits kann es manchmal auch sinnvoll sein, zunächst ein offenes Gespräch mit dem aktuellen Arbeitgeber zu führen und möglichen positiven Veränderungen eine Chance zu geben. Unternehmen, die einen guten Mitarbeitenden halten wollen, werden sich bestmöglich dafür einsetzen.
Die Fülle an Jobmöglichkeiten und Chancen auf dem Arbeitsmarkt bedingt aber sicher auch die geringere Geduldsspanne für mögliche positive Veränderungen bei der Gen Z. Da wird auch eher ein häufigerer Jobwechsel in Kauf genommen, auch wenn das mit mehr Aufwand und sicher für den ein oder anderen auch mit mehr Stress verbunden ist.
Pronova BKK: Wie wirkt sich in diesem Zusammenhang der Fachkräftemangel aus?
Thamm: Die demografische Entwicklung und der Fachkräftemangel bedingen, dass die Generation Z eine viel stärkere Verhandlungsposition hat als frühere Generationen. Sie ist also in der angenehmen Position, wählerisch sein zu können. Wie schon angesprochen, die Gen Z will nicht auf die Zukunft warten, sondern ist Gestalter ihrer Gegenwart.