Anders fühlte sich Janis McDavid ganz lange nicht. „Ich hatte Glück. Meine Eltern haben mir als Kind eine Welt aufgebaut, in der ich völlig normal war. Genauso wie ich ohne Arme und Beine zur Welt gekommen bin, hatte ich blonde Locken. Für mich war beides mehr oder weniger auf derselben Ebene“, erinnert er sich. Wenn andere Kinder zu ihm kamen und fragten „Hey, warum hast du keine Arme und Beine?“ war er irritiert. Natürlich war ihm bewusst, dass bei ihm etwas „anders“ ist, dass er einen Rollstuhl fährt und andere Kinder nicht. Einen Unterschied machte das für ihn aber nicht.
Dann wird Janis 8 Jahre alt – und als er eines morgens sein Spiegelbild erblickt, ist er plötzlich zutiefst schockiert. „Das, was ich da im Spiegel sah, passte überhaupt nicht mit meinem Selbstbild zusammen“, erzählt er. „Dort im Spiegel war plötzlich ein Körper bestehend aus Kopf und Rumpf. Das sah extrem merkwürdig aus. In diesem Moment habe ich mich zum 1. Mal für mein Aussehen geschämt.“ Das Bewusstsein über die Tragweite seiner Behinderung und die Scham sind neu für ihn. Damit kann sein 8-jähriges Ich nur schwer umgehen. Sein Gedanke in diesem Moment: „Oh Gott, siehst du grässlich aus!“
Psychisch verändert das einiges: „Diese Leichtigkeit, dieses Selbstverständliche ‚Naja, ich habe keine Arme und Beine – so what!‘ ging verloren. Ich habe mich als Kind ja von nichts aufhalten lassen. Ich habe alles mitgemacht. Ich hatte Freunde, wir haben mit dem Rollstuhl rumgealbert … Das wurde danach schwieriger“, sagt Janis. Die Blicke anderer beginnen, ihn zu stören, Freundschaften zu knüpfen fällt ihm schwerer. Nach außen bleibt er zwar selbstbewusst, aber rückblickend weiß Janis: „Das war wie eine Mauer, wie ein Schutzschild, das ich vor mir hergetragen habe. Heute würde ich sagen, das war kein gesundes Selbstbewusstsein, sondern eine Art der Verteidigung.“
In der Schule fühlt Janis sich, je nach Unterricht, ausgegrenzt. Die größte Herausforderung ist der Sportunterricht, vor allem der Schwimm- und Tanzunterricht. Oft steht er nur dabei, statt mitzumachen. Auch das nagt an seinem Selbstbewusstsein. „Die Lehrkräfte kannten sich nicht aus, waren vielleicht auch nicht mutig genug oder hatten Angst, etwas falsch zu machen. In einem inklusiven Kontext waren sie nicht korrekt ausgebildet“, sagt er. Insgesamt ist seine Schulzeit aber ein positives Erlebnis, weil am Ende des Tages alle an einem Strang ziehen.
In der Pubertät kommt Janis schließlich an den Punkt: „Du hast jetzt 2 Möglichkeiten: Entweder, du hast weiterhin ein Problem mit deiner Behinderung, schämst dich, machst dich weiter selbst runter. Oder du akzeptierst es, wie es ist.“ Er fragt sich: „Was bringt mir im Leben mehr?“ Heute sagt er: „Es bringt mir viel mehr, mich so anzunehmen, wie ich bin. Heute finde ich mich sogar ganz cool. Ich würde es nicht mehr anders haben wollen. Das ist natürlich viel Arbeit – aber am Ende auch das Ziel.“
Janis dreht den Spieß um: „Ich finde es spannend, Dinge zu tun, die man von mir nicht erwartet, und der Gesellschaft so einen Spiegel vorzuhalten.“ Seine Vision: Dahinkommen, wo er als Kind war. Dass eine Behinderung nichts anderes ist, als blonde Locken zu haben. „Behinderung ist am Ende des Tages ein menschengemachtes, theoretisches Konstrukt. Und ich sage: Würden wir unsere Welt anders bauen, wäre ich in wesentlich weniger Situationen behindert. Eigentlich bin nicht ich derjenige, der die Behinderung hat. Sondern ich lebe in einer Welt, die anders gebaut wurde als z. B. für Menschen im Rollstuhl.“ Zu Janis‘ Hobbys zählen, wie er sagt, einige verrückte Dinge: Mit dem Rennwagen über den Hockenheimring pesen, mit Freunden den Kilimanjaro besteigen – und Schwimmen. „Wir als Community müssen dahinkommen, dass wir die Menschen, die sagen: ‚Das geht nicht. Das kannst du nicht.‘ nicht aus der Verantwortung lassen. ‚Du lebst mit einer Behinderung‘ ist kein Argument.“
Seine ganze Geschichte erzählt Janis in unserem Podcast „Jetzt mal ehrlich“.